Freitag, 14. März 2025
Der Laubbläser des Sisyphos
Vor einigen Tagen habe ich über die mir immer wieder nahegelegte Asphaltierung meiner Zufahrt berichtet (https://troet.cafe/@scheichsbeutel/114133341720449284). Dabei habe ich unterschlagen, dass neben der angemahnten Bodenversiegelung es auch eine - möglicherweise ökologischere - Variante gäbe, um den allenthalben mich hier auf- und heimsuchenden Personen von den Fährlichkeiten, die ihren fahrbaren Untersätzen drohen, wenigstens ansatzweise zu befreien: Nämlich den Einsatz eines Laubbläsers (nebst Angebot, mir einen solchen leihweise zur Verfügung zu stellen).

Nun ist die Idee des Einsatzes eines Laubbläsers im Laubwald möglicherweise eine Hommage an den steinewälzenden Frevler aus dem griechischen Sagenkreis (verbunden mit der zusätzlichen Bestrafung alsbaldiger Taubheit: Der Sisyphos des mitteleuropäischen Laubwaldes wird an Orpheus' holder Kunst sich zu erfreuen kaum in der Lage sein). Aber man könnte (viel guten Willen vorausgesetzt) in der Befreiung des inkriminierten Weges vom Blattwerk noch ansatzweise ein sinnvolles Tun erkennen (allerdings nur unter der Voraussetzung, dass man alle Luftbewegungen, die gemeinhin als Wind oder Sturm in dieser Gegend häufig aufzutreten pflegen, mit Ignoranz straft).

Aber die Verwendung dieses Geräts ist keineswegs an eine solche versuchte Sinngebung gebunden: Schon seit Jahren bin ich mit jenem einsamen Wanderer (in Gestalt eines Nachbarn) konfrontiert, der, lyrisch besungen, "in den Alleen hin und her unruhig wandert, wenn die Blätter treiben", jedoch nicht angekränkelt von des Gedankens Blässe, sondern mit einem Ungetüm von Kärcher oder Bosch in Händen, durch den Wald marschierend und dort gegen die auf den Fluren losgelassenen Winde einer heroischen Kampf ausfechtend.

Was dieser Zweitwohnbesitzer tatsächlich damit bezweckt, konnte ich noch nicht eruieren: Neugierig habe ich mich nach Abschluss des Schlachtengetöses auf das wieder verlassene Grundstück vorgewagt. Zu erkennen - Laubwälle (als Kinder hätten wir derlei genossen), die wenigen Quadratmeter vor dem Haus (es steht mitten im Wald, gibt keine Wiese) tatsächlich weitehend laubbefreit, desgleichen einige Bereiche mitten im Wald. (Spätestens nach dem ersten Wetterwechsel wird der Zweite Grundsatz der Thermodynamik seine volle Wirksamkeit entfalten - wie im übrigen auch in den Zimmern meiner Kinder, die - frecherweise - (kaum lässt man sie an ein wenig Bildung teilhaben) sich bei der Weigerung aufzuräumen auf die Entropie als ein dem einförmigen Chaos zustrebendes Phänomen berufen haben). Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir.

Resumee: Hier könnte ihre Werbung stehen (an Kärcher, Bosch, Einhell und Co.). Oder vielleicht doch nicht ...



Dienstag, 11. März 2025
Zur Verteidigung der Kinderschänder nebst einleitenden Bemerkungen zu den Weltbildern von Trump, Putin, Musk & Co.
Wer sich davon überrascht zeigt, dass eine Demokratie (USA - noch) und ein autoritäres Regime wie Russland so nahe zu sein scheinen, sei auf die gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Regierenden in diesen Ländern verwiesen: Die Leute um Trump und Musk vertreten genau dieselben Ansichten in Bezug auf Frauen, Religion, Migranten, LGBTQ wie der gute Wladimir Wladimirowitsch. Stellt man die diversen Aussagen nebeneinader (wie das etwa Jon Stewart in einer seiner letzten Shows gemacht hat), so können diese unmöglich der einen oder anderen Gruppe zugeordnet werden.

Solche Allianzen gibt es auch zwischen anderen, scheinbar disparaten Gruppen: Als das rechtsextrem Compact-Magazin in Deutschland vorübergehend verboten wurde, kam aus einer Ecke Unterstützung, die man so erstmal nicht erwartet hatte - von den radikalen Islamisten. Wenn man allerdings auch hier die Weltbilder vergleicht (was Liberalismus, Demokratie etc.) anlangt, so gelangt man wie bei Trump und Putin zu kaum unterscheidbaren Positionen.

Es sind diese höchst unheiligen Allianzen, die man - so noch eine Hoffnung für einen liberalen Rechtsstaat bestehen soll - allesamt im Auge behalten soll. Religionsgemeinschaften verteidigen sich gemeinsam gegen säkulare Bemühungen, göttlich verordnete, schwere Körperverletzungen an Kindern (wie bei der Beschneidung, in den USA sterben jährlich 100 (!!) Kinder an dieser qualvollen Prozedur, die von einem Rabbiner mit den Worten, dass bei Verkehrsunfällen mehr Tote zu beklagen seien, verteidigt wurde - siehe hier: https://religion.orf.at/v3/stories/2547622/ ), sie kämpfen Seite an Seite für den Religionsunterricht, die frühkindliche Indoktrination mit obskuren Ideologien, die ein archaisches, sexistisches und homophobes Weltbild propagieren (so mancher Heilige (alle?) stünde heute als Hassprediger auf einer internationalen Fahndungsliste wegen Aufrufes zu Gewalt und Mord: Etwa der von allen Kindergartenkindern besungene Heilige Martin, der mehr antikes Kulturgut zerstören ließ als die Taliban und für zahlreiche Pogrome verantwortlich zeichnete).

So darf sich in Zukunft also jeder Kinderschänder auf die Worte von Rabbi Shlomo Hofmeister berufen: Die Zahl seiner Opfer ist geringer als die bei den religiös sanktionierten Beschneidungen (oder gar Autounfällen), weshalb sich die empörte Masse erstmal um die Verkehrssicherheit vor Schulen und Kindergärten kümmern solle, bevor sie einen Aufstand mache wegen der paar von ihm geschändeten und/oder geöteten Kinderchen. Kinderkram - so was.

Die Argumentation dieses Kretins muss man sich wahrlich auf der Zunge zergehen lassen. Man glaubt, die oberwähnten Trump, Musk und Putin wären empathielos? Gegenüber dem Gottesmann Hofmeister sind sie die altruistischen Inkarnationen eines Franz von Assisi. Man meint, diese Ungeheuerlichkeiten müssten einen Aufschrei der Empörung nach sich gezogen haben? Aber woher denn, im Gegenteil: Alsbald rückt ein habilitierter Rechtsprofessor namens Gerhard Luf aus (der schon als Assistent "mit durchwegs progressiven Veröffentlichungen zum Menschenrechtsverständnis des katholischen Kirchenrechts hervortrat" - nur damit man weiß, was man bei Katholiken unter progressiv zu verstehen hat) und "stuft den Eingriff als geringfügig und risikoarm ein. Das wichtigste sei das Kindeswohl, und zum Kindeswohl zähle auch die religiöse Erziehung." Gäbe es den von Ruf und Hofmeister angenommenen lieben (und rächenden Gott), so hätte diese Beiden längst der Blitz getroffen. Und so können sie von Glück reden, dass ihre menschenverachtende Metaphysik ein bloßes Hirngespinst ist.



Sonntag, 2. März 2025
Pazifistische Heuchelei
Selbst nach diesem ungeheuerlichen Auftritt Trumps, dem Hofieren Putins und der Diskreditierung der gesamten Ukraine, die sich gegen einen Überfall mit unzähligen Opfern wehrt, wird das ach so menschenfreundliche, pazifistische Gesülze nicht eingestellt. "Im Herzen sei sie noch immer Pazifistin" schreibt etwa @mimrma (auf mastodon). Wer denn nicht? welcher einigermaßen vernünftige Mensch wünscht sich Krieg, Mord und Totschlag?

Wütend macht dabei die implizite Unterstellung, dass alle diejenigen, die die Ukraine in ihrem Abwehrkampf unterstützen, keinen Frieden wollten, Kriegstreiber, Militaristen seien. Während die Couchpazifisten sich selbstgefällig als die "Guten" präsentieren, die sich moralisch erhaben um den Weltfrieden Gedanken machen. Aber Pazifismus funktioniert (wenn überhaupt) nur dort, wo a) derjenige, der diese Position vertritt, ein gerüttelt Maß an Macht besitzt und b) die am Konflikt Beteiligten sich zumindest ansatzweise zu so etwas wie den Menschenrechten bekennen. - Deshalb war der Pazifismus eines Bertrand Russel oder Albert Einstein im Ersten Weltkrieg nachvollziehbar, ebenso folgerichtig aber haben beide ihre diesbezügliche Haltung im Zweiten Weltkrieg aufgegeben. Denn die einzige Chance des Pazifismus hätte nun darin bestanden, dass sich Hitler und Stalin angesichts von so viel Menschenfreundlichkeit totgelacht hätten.

Pazifismus funktioniert einzig in einer Gesellschaft, die Gewalt _nicht_ als ein legitimes Mittel betrachtet, Konflikte zu lösen; die Betrug, Lüge und persönlichen oder Gruppenegoismus ablehnt. Wie in den Experimenten von Robert Axelrod (https://de.wikipedia.org/wiki/Tit_for_Tat) gezeigt wurde, ist es durchaus vernünftig, nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten und dem Gegenüber einen Vertrauensvorschuss zu erteilen (ev. sogar doppelt): Aber nicht ad infinitum.

Wenn die pazifistische Grundhaltung nicht von den maßgeblichen Parteien geteilt wird, spielt sie jenen in die Karten, die ihre Agenda mit Gewalt und Täuschung durchzusetzen beabsichtigen. Sie ist unmenschlich und liefert zumeist eine bestimmte Gruppe dem Schicksal aus (dieser Gruppe pflegen die Pazifisten selbst im Regelfall nicht anzugehören). Im vorliegenden Fall: Ein paar tote Ukrainer, ein paar Millionen bald in Diktatur lebender Menschen nimmt man hin.

Allerdings - mit welchem Recht? Und wie könnte der auf diese Weise die anderen opfernde Pazifist selbst je auf Hilfe rekurrieren? Ich bin gegen jeden Krieg, gegen jede Gewalt (wie oben erwähnt - wer nicht?). Aber ich bin auch für Freiheit, für das Recht auf Selbstschutz, Selbstverteidigung für größtmögliche Unterstützung des Opfers. Und die Warnung vor Eskalation, der Gefahr eines größeren Konflikts: Die Angst vor Verlust der eigenen Annehmlichkeiten.

Für diese darf man schon ein paar Ostukrainer opfern, man selbst ist ja keiner. Für die dort Lebenden (und Toten) hat die Eskalation längst stattgefunden. Aber deren Leben und Dasein wird offenbar als weniger wertvoll angesehen als das eigene, weshalb man es mit der Hilfe ja nicht zu weit treiben soll: Bestenfalls liefert man alte Waffenbestände und ein paar Helme, um das eigene Gewissen zu beruhigen und den Angreifer ja nicht zu verärgen.

Nur schön die Distanz wahren und den Betroffenen aus der Ferne gute Ratschläge erteilen, was sie zu tun und zu unterlassen haben; ihnen wortreich erklären, weshalb das mit der Hilfe gerade jetzt nicht so günstig wäre. Dann noch eine Runde Betroffenheit heucheln, sich nach einem Blick in den Spiegel seiner moralisch-pazifistischen Integrität versichern und vor dem Einschlafen ein Gläschen Wein und eine Netflix-Serie: Man muss sich auch mal was gönnen bei dieser furchtbaren Weltlage.



Dienstag, 28. Januar 2025
Miteinander Reden: Voraussetzungen und die Unmöglichkeit von ein bisschen Logik
Es gibt (vereinfacht ausgedrückt) zwei Voraussetzungen für eine gedeihliche Kommunikation: 1. Akzeptanz bestimmter Prämissen aller Diskutanten (etwa der Menschenrechte). Davon ausgehend sollten 2. mit logisch-rationaler Beweisführung mögliche Widersprüche aufgelöst werden, die sich aus diesen Annahmen bzw. den geäußerten Behauptungen ergeben. Auf solche Widersprüche hinzuweisen ist nur sinnvoll, wenn ein Konsens über die Grundannahmen besteht.

Beides (Grundkonsens, die daraus abgeleitete logische Argumentation) wird heute bei Bedarf suspendiert. Trump etwa weiß, dass er lügt, sich widerspricht etc. Das nachzuweisen ist keine große Kunst, aber belanglos, weil er (und auch die Wählerschaft) das ignorieren. Ich kann Behauptungen sinnvoller Weise nur dann widerlegen, wenn mein Gegenüber die deduktive Logik als ein Instrument akzeptiert, dass über die Gültigkeit von Argumenten entscheidet.

Wichtig ist dabei (auch) der Zusatz "deduktiv": Denn häufig pflegen Menschen in Auseinandersetzungen Erfahrungswerte einfließen zu lassen, die sie dann absolut setzen. (Verallgemeinerungen der Form "Alle Ausländer sind ...", "alle Männer sind ...", "alle x sind ..."). So wichtig der empirische Rekurs sein mag: Der Schluss von Einzelfällen auf ein Allgemeines ist nicht zulässig (Induktionsproblem). Deshalb ist die Anerkennung der Prämissen als Grundlage von so großer Bedeutung.

Aufeinander zugehen etc. mag als netter Sinnspruch durchgehen, ohne Akzeptanz von Basisannahmen und deduktiver Logik bei den Beteiligten ist derlei eine Illusion. Bei vielen ist im übrigen die Aktzeptanz der Voraussetzungen selektiv: Wenn etwa religiöse Menschen vorgeben, ein wissenschaftliches Weltbild zu besitzen, es aber im Zweifelsfall dem Glauben opfern. Das mag naiv und harmlos erscheinen (er ist doch ein lieber Kerl), ist es aber nicht.

Denn diese Haltung bildet das Einfallstor für jedwede Irrationalität. (Aus einem falschen logischen Schluss lässt sich _alles_ ableiten.) Man kann sich nicht nur bei Bedarf der Logik bedienen. D. h. - selbstverständlich kann man (auch Trump bedient sich der Logik, soweit es ihm nützlich erscheint). Aber man sollte sich der Konsequenzen bewusst sein und die Fragwürdigkeit einer Haltung sehen, die fremden Unsinn kritisiert und den eigenen verteidigt.

Der Philosoph H. Schleichert hat darüber ein lesenswertes Buch geschrieben: "Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren". Er zeigt eindrucksvoll, wie man esoterischem, religiösem, mit Verschwörungstheorien angereichertem Geschwurbel entgegentritt. Aber auch er kann das nur anhand von logischen Argumenten tun: So gut manche Strategie auch sein mag - in unserer derzeitigen Welt ist sie ungeeignet.



Montag, 27. Januar 2025
Schach und die argumentativen Fallstricke vor und in Zeiten des Internets
Vor etwa 40 Jahren in einem Schachcafe, zwei pensionierte Herren sitzen einander gegenüber - wie jeden Tag. Und man parliert, diskutiert und gerät schließlich und endlich in einen Disput über die Frage, wie lange wohl das Licht der Sonne brauche, um an diesem Vormittag zur angelegentlichen Be- und Erleuchtung beizutragen. Amtsrat B., seines Zeichens begnadeter Leserbriefschreiber (für die Jüngeren: Eine Form von Twitter in Tageszeitungen) und von seinen umfassend naturwissenschaftlichen Kenntnissen zutiefst überzeugt, plädiert für etwa 14 Tage, während Herr T. der festen Überzeugung Ausdruck verleiht, dass die inkriminierten Photonen noch nicht mal 10 Minuten für diese Reise benötigen würden. Und weil dem Amtsrat partietechnisch wenig Erfolg beschieden war, bestand er nun vehement auf den behaupteten zwei Wochen, zieh T. der Unbildung und begab sich behufs Belegung seiner Ansicht nach Hause, um das mehrbändige Lexikon zu befragen.

Es war die allerletzte Partie zwischen den beiden (von sicher Tausenden), der Amtsrat wurde weder an diesem Tag noch später in jenem Lokal wieder gesehen. Und ich erzähle diese Anekdote, weil ich selbst vor kurzer Zeit behauptete, dass man in Zeiten von Internet und allüberall verfügbaren Handys für die Streitbeilegung nicht mehr den Weg in die eigene Wohnung antreten hätte müssen, eine Entscheidung vor Ort sollte möglich, vielleicht auch weniger frustrierend sein für denjenigen, der da sein vermeintliches Wissen all zu selbstsicher vorträgt.

Aber diese meine Annahme war falsch. Der Herr Amtsrat B., von den Toten auferstanden (unsterblicher Typus) argumentiert heute (bzw. gestern, wie ich mehr-weniger unabsichtlich zur Kenntnis nehmen musste, da man ob einer ähnlich wichtigen Streitfrage die Stimmen zusehends erhob) auf umfassend kritizistische Weise: Auch die Wikipedia sei selbstredend unzuverlässig (wie andere Seiten, die das dort Geschriebene bestätigten) und der wirklich kritische Geist (der Sprecher) ziehe selbstredend alles in Zweifel, was er denn auch anderen anempfehlen würde, die da völlig unbeleckt von allen Bedenken dem Internet zu großes Vertrauen entgegenbrächten. Er habe also Recht, trotzdem und dennoch. Und nicht nur das: Alle anderen seien leichtgläubig und mögen in ihm ein leuchtendes Beispiel sehen für einen alles prüfenden Geist, dessen Skepsis seiner intellektuellen Redlchkeit das höchste Zeugnis ausstelle (naja, ganz so elaboriert hat er sich nicht ausgedrückt, aber durchaus in diesem Sinne). Wie man mir anschließend - wenig überraschend - mitteilte, gehörte der Betreffende ansonsten eher der Fraktion "hab ich im Netz gelesen - ist daher wahr" an.

Alois Brandstetter lässt seinen Erzähler in "Zu Lasten der Briefträger" bezüglich fragwürdiger Argumentationen eine auch sprechakttheoretisch bedeutsame Aussage treffen: "Lieber Postmeister, deine Briefträger lügen die Wahrheit". Dem lag die Argumentation eines der Postboten zugrunde, der - weil auf die unzuverlässige Zustellung angesprochen und warum er sich nicht motorisiere, damit der Beschwerdeführer wenigstens einmal pro Woche am Haus desselben erscheinen und die Post zustellen möge, antwortete, dass der Verkehr an sich und im besonderen zu große Gefahren für Leib und Seele berge - und behufs der Richtigkeit dieser Behauptung die zahlreichen Toten bei Automobilrennen anführte. Die Argumentation des Internetskeptikers, mit einer durchaus richtigen Feststellung den eigenen Blödsinn (bzw. die Blödheit) zu rechtfertigen, hat also Vorbilder.

Resume des Ganzen: Früher war doch alles besser. Denn der weit über seine Heimatstadt hinaus bekannte Leserbriefschreiber und Amtsrat a. D. schien an dem ihm von seinem Lexikon mitgeteilten Sachverhalt keine Zweifel zu hegen, er hat nicht die Loriotsche Steinlaus aus dem Pschyrembel für die Unzuverlässigkeit aller Lexika in Geltung gebracht. Er hat sich geschämt und auf die vielgeliebte vormittägliche Schachpartie Verzicht geleistet. Ein nicht geringes Opfer - für ihn, der Schachwelt ist kein großer Geist abhanden gekommen: Als wir (ach, wir waren jung) einstmals zu unserem Gaudium ein Schachbrett - schön aufgestellt, nur um 90 Grad verdreht, dem Amtsrat und seinem Gegner zur angelegentlichen Benutzung überließen (Schachspieler, die derlei nicht kennen, mögen einen Selbstversuch machen: Es beginnt sich im Kopf alsbald alles zu drehen), waren die Kontrahenten weit entfernt davon, die etwas seltsame Aufstellung zu durchschauen (einzig bei der Rochade wurden sie nachdenklich).



Freitag, 10. Januar 2025
Warum ÖVP und CDU/CSU das wahre Problem für die Demokratie sind ...
"Lernen's Geschichte" grantelte weiland ein österreichischer Bundeskanzler und meinte damit einen Journalisten, dem er offenbar jegliche historische Kompetenz abzusprechen geneigt war (ob mit Recht - ich weiß es nicht). Das nun sollte man auch jenen zahlreichen, konservativen Schreiberlingen nahelegen, die da ob des nun in Österreich vielleicht zu installierenden Volkskanzlers ihre betulich anmutenden Bedenken anmelden und eine gemeinsame Front gegen den Rechtsradikalismus einfordern.

Es sei in Erinnerung gerufen: Weder haben vor 90 Jahren die Nationalsozialisten von sich aus die Macht erobert (selbst nach ihrer Machtergreifung und den gewalttätigen Übergriffen auf SPD und KPD (nicht nur, aber vor allem) erreichten sie nur 44 %, auch Haiders FPÖ wurde 2000 vom damaligen Wahlverlierer und ÖVP-Obmann Schüssel als Steigbügelhalter für seine eigenen Ambitionen benutzt; in den Bundesländern (Steiermark, Oberösterreich, Vorarlberg, Niederösterreich und Salzburg) koaliert die ÖVP mit den angeblich so verabscheuungswürdigen Rechtsradikalen und jetzt dient sich dieselbe Partei trotz ihrer das genaue Gegenteil versprechenden Äußerungen jenem Kickl an, den sie so tief zu verachten im Wahlkampf vorgab und mit dem sie jede Zusammenarbeit ausschloss.

Es waren immer die Konservativen, die diesem Gesocks zur Macht verhalfen, Wirtschaftstreibende, Industrielle, es waren die Christen jedweder Couleur, die antidemokratische Bewegungen unterstützt haben (erst Mitte der 60er hat man etwa seitens der katholischen Kirche demokratische Regierungsformen - widerwillig - anerkannt) und die damals wie heute willige Helfer der mittlerweile wieder unverhohlen faschistisches Gedankengut vertretende Parteien sind. Deshalb sind diese Aufrufe um eine gemeinsame Front gegen den Rechtsradikalismus von dieser Seite nichts anderes als Heuchelei, sie sind in mancher Hinsicht verlogener und verächtlicher als die offen ausländer- und minderheitenfeindlich auftretenden Rechten, bei denen man zumindest weiß, woran man ist.

In meinem Nachbarland Deutschland hat diese Verlogenheit vor der kommenden Bundestagswahl ein mehr als beachtliches Ausmaß erreicht: Nicht nur dass Merz und Söder sich gegenseitig übertreffen, Positionen der AFD für ihre Parteien zu reklamieren und völlig ungeniert Aberkennung von Staatsbürgerschaften, Ausweisungen oder eine mehr als flexible Umdeutung der Genfer Flüchtlingskonvention fordern, sie spalten durch das gezielte Lancieren von Fake-News (wofür hat Söder den Grünen noch nicht die Schuld gegeben, was ihnen als angeblicher "Verbotspartei" nicht bereits unterstellt bis hin zur Untersagung jeglicher Haustierhaltung) auch jene Gesellschaft, mit der sie angeblich so gerne eine "Brandmauer" bilden würden gegen die Gefahr von rechts.

Man echauffiert sich über Musks Unterstützung der AFD, über dessen Einflussnahme und der Verbreitung alternativer Fakten, hat sich aber jahrzehntelang der Springer-Presse mit genau derselben Intention bedient. Es ist offenkundig, dass die Entrüstung über Musks Engagement mit der kaum verborgenen, pharisäerhaften Enttäuschung zu tun hat, dass man selbst nicht Nutznießer von all dem ist und keineswegs daher rührt, dass über X offenkundige Lügen über all die politischen Mitbewerber verbreitet werden. Denn nichts anderes hat die BILD über Jahre hinweg getan - zugunsten von CDU/CSU - und die Empörung darüber ist selbstredend ausgeblieben: Hat man doch von all dem politisch profitiert.

Diese Doppelmoral ist einfach nur widerlich und sie sollte all jenen zu denken geben, die da in der CDU/CSU tatsächlich glauben, ein Bollwerk gegen rechts zu erkennen. Das Gegenteil ist der Fall - und bezüglich dieser Partei sind einzig zwei mögliche Szenarien zu unterscheiden: Entweder man übernimmt (was zu einem nicht unbeträchtlichen Teil längst geschehen ist) die Positionen der AFD (allerdings bislang mit wenig Erfolg: Warum sollte man auch nicht lieber das Original wählen als die scheinheiligen Nachahmer) oder aber wird - wie in Österreich - mangels "Alternativen" mit der AFD zarte Bande zu knüpfen beginnen: Zuerst auf Gemeinde- oder Länderebene, dann auch im Bund. Und bei den darauf folgenden Katastrophen in gut christlicher Manier seine Hände in Unschuld waschen: Das hatte man doch nicht ahnen können. Dann könnte ein Hinweis auf jene "Werteunion" hilfreich sein, die über Jahre (und inhaltlich stimmig) für sich beanspruchte, den "konservativen Markenkern" von CDU/CSU darzustellen: Dass man sich schließlich trennte, hatte offenbar einzig damit zu tun, dass die Mitglieder der Werteunion unangenehmerweise als das öffentlich auszusprechen begannen, was man von seiten der CDU/CSU zwar ohne weiteres zu akzeptieren bereit war, aber als ein wenig kompromittierend empfand und deshalb lieber nur im engen Kreis ausgesprochen haben wollte.

In Anlehnung an die oben erwähnte Historie: Die wirkliche Gefahr für die Demokratie, für Minderheiten geht nicht von der AFD aus (diese rechten Idioten wird es immer geben, aber sie sind nicht die Mehrheit), sondern von Parteien wie ÖVP oder CDU/CSU und deren Mitgliedern (mögen diese sich auch noch so weltoffen und human präsentieren). Es sind diese Heuchler, die aus Dummheit und/oder billigem Opportunismus jenen Kräften zur Macht verhelfen, die sie zu bekämpfen vorgeben. Paradebeispiel für diese Doppelzüngigkeit ist die Aufregung über die erwähnte Einflussnahme von Musk zugunsten der AFD: In CDU/CSU-Kreisen empört man sich nur, weil man plötzlich das Monopol auf Fake-News (aus dem Springer-Verlag) verloren hat und man durch X mit einer fast noch mächtigeren Nachrichtendreckschleuder konfrontiert ist als bei der sonst immer wohl gesonnenen BILD.



Freitag, 20. Dezember 2024
Wirtschaftskompetenz und Politik (Trump, Musk, Merz & Co)
Immer wieder zu hören (etwa im us-amerikanischen Wahlkampf): Die Frage nach der Wirtschaftskompetenz der Kandidaten. Die Frau Harris ab- und Trump zugesprochen wurde. Und gleichzeitig erfährt auch jemand wie Elon Musk Bewunderung: Der reichste der Mann der Welt muss doch gerade in Wirtschaftsfragen enorm kompetent sein. Und daher müssen solche Menschen als geradezu ideal geeignet für die Staatsführung angesehen werden.

Das alles könnte falscher gar nicht sein: Selbst wenn der Reichtum nicht ererbt, sondern tatsächlich erwirtschaftet worden wäre, würde ein solcher Mensch sich durch rein gar nichts für ein Staatsamt qualifizieren. Ein Staat kann, soll und darf nicht nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen geführt werden, denn ein Staat ist seinen Bürgern verpflichtet, insbesondere jenen, die - aus welchen Gründen auch immer - auf Hilfe, Unterstützung angewiesen sind.

Nicht zufällig wird selbst an Wirtschaftsuniversitäten zwischen Betriebs- und Volkswirtschaft unterschieden. Wobei der Unterschied in den Zielsetzungen zwischen Privat und Staat am größten dort ist, wo man einzig den Aktionären verpflichtet ist (denn Klein- und Mittelstandsunternehmen sollten sehr wohl Interesse am Wohlergehen ihrer Belegschaft zeigen: Man unterschätzt häufig, wie sehr viel leistungsbereiter Mitarbeiter zu sein pflegen, wenn sie Wertschätzung erfahren, in einem angenehmen Betriebsklima ihre Arbeit verrichten können).

All das fällt weg, wenn es sich etwa um Hedgefonds, große Aktienunternehmen oder Banken handelt. Der Ruin eines Betriebs spielt hier im Grund keine Rolle, bestenfalls eine finanzielle: Bei prekärer Geschäftslage wird man sich einzig darum bemühen, noch ein wenig Gewinn - oder aber den geringsmöglichen Verlust - zu erzielen: Die XY-AG als solche ist völlig belanglos - wie auch ihre Mitarbeiter - kann sie doch sofort im Portfolio durch die XZ-AG ersetzt werden.

Einen Staat zu führen hat mit dieser Form von unternehmerischer Gewinnoptimierung rein gar nichts zu tun. Ein Staat muss für eine umfassende Gesundheitsversorgung garantieren, für Infrastruktur, eine kostengünstige und gediegene Ausbildung, für Chancengleichheit, Gerechtigkeit sorgen. Das alles sind Dinge, die kein "Markt regelt": In Deutschland werden etwa um den Faktor 10 mehr Knie- und Hüftgelenksoperationen durchgeführt als in Österreich - und das offenkundig deshalb, weil es "sich rechnet" - und nicht weil österreichische Kniegelenke durchs Bergsteigen eine größere Widerstandskraft entwickelt hätten.

Automatisch stellt sich die Frage: Wie blöd muss man sein, um Krankenhäuser zu privatisieren, sie gewinnorientiert wirtschaften zu lassen? Tut man dies, so leistet man jedenfalls keinen Beitrag zur Volksgesundheit - im Gegenteil: Man schafft einen Markt, auf dem Unternehmen (verständlicherweise!) den größtmöglichen Gewinn erzielen wollen. Das Problem dabei: Es ist kein Markt wie jener für lange Hosen, in dem sich jeder nach Belieben und Geschmack bedienen kann und darf. Sondern - um im Bild zu bleiben - dieser Markt bewirkt, dass nicht wenige nackt bleiben werden, während die Verkäufer den zahlungsfähigen Kunden zur Zweit- und Dritthose drängen, alldieweil die ersten bereits erfrieren.

Bei der Privatisierung der Infrastruktur (Stichwort Bahn, hier können Deutschland und Großbritannien als abschreckende Beispiele dienen) ist es dasselbe: Öffentlich Verkehrsmittel sollen dem Bürger dienen, abgehängte Regionen anbinden, Umweltverschmutzung und Lärm verhindern, aber nicht den Wertpapierspekulanten. Denn diese sind den Anteilseignern verpflichtet - und werden schon deshalb alle irgendwie "höheren" Ziele ignorieren: Selbst der Zusammenbruch eines Gutteiles der Ökonomie schadet jenen, die über die Möglichkeit zu solchen Investitionen verfügen, nicht im mindesten (wie die Finanzkrise von 2008 gezeigt hat).

Dass aber über Umwege das alles sich doch rechnet (nicht jedoch kurzfristig wie bei einem Hegdefondsmanager) liegt auf der Hand: Zufriedene, gesunde und gut ausgebildete Bürger sind der Reichtum eines Landes, sie sind ein Garant für demokratische Strukturen, für das Funktionieren des Staates. Dass man nun (wieder Deutschland) einen ehemaligen Blackrock-Aufsichtsratsvorsitzenden zum Kanzler zu wählen gedenkt, sollte jene 95 % der Bundesbürger, die sich nicht zu den Millionären rechnen können, nachdenklich stimmen. Merz mag wirtschaftlich erfolgreich sein (neben seinem Bundestagsmandat übte er Anfang der 2000er Jahre 18(!) gutbezahlte Nebentätigkeiten aus, ebenfalls ein Hinweis auf Geschäftstüchtigkeit), aber all das ist eben keine Empfehlung für seine Wahl zum Kanzler. Er ist offenbar jemand, der es vor allem versteht, aus allem und jedem persönlich Nutzen zu ziehen, dem es (wie dem US-Präsidenten) vor allem um ihn selbst, sein Ego geht. Diese Form von Erfolg sollte eine Warnung sein an die Bürger: Trump und Merz haben hinlänglich bewiesen, dass ihnen das Allgemeinwohl völlig egal ist. Wirtschaftskompetenz von diesem Zuschnitt ist das genaue Gegenteil von dem, was ein Staat bzw. seine Bürger brauchen.

Im übrigen - selbst bei scheinbar mangelnder Kompetenz: Diese ist nie das Problem. Ein Gesundheitsminister muss kein großartiger Arzt sein, sondern sich von solchen beraten lassen - und er muss Entscheidungen treffen, die dem Wohle aller dienen. Fachkompetenz lässt sich organisieren, Menschlichkeit hingegen nicht (und sie sollte die Grundvoraussetzung jeder politischen Tätigkeit darstellen).



Sonntag, 24. November 2024
Rechtspopulismus und die Einfalt der Wähler
Fortsetzung von https://troet.cafe/@scheichsbeutel/113538627411691999

In einer idealen politischen Welt stelle ich mir verantwortliche Politiker vor, die faktenbasiert kluge Entscheidungen treffen (die nicht immer auch auf allgemeine Zustimmung stoßen müssen) und bin eher Anhänger der repräsentativen Demokratie.

Tatsächlich funktioniert Politik mittlerweile gänzlich anders: Ausschließlich auf der emotionalen Ebene. Man erzeugt Neid in allen Varianten (inklusive Feinbilder), schürt Ängste, bedient das Klischee der vermeintlichen Eliten, die das gemeine Volk ihrer Rechte berauben und für einen (ebenso vermeintlichen) wirtschaftlichen Niedergang sorgen. Und wählt Parteien mit Programmen, die dies erst tatsächlich bewirken.

Denn die vielgeschmähten Ausländer sind das Rückgrat unserer Wohlstandsgesellschaft, schlecht bezahlt erledigen sie genau das, wofür sich der Einheimische zu schade ist (oder dabei nicht genug verdient). Dazu kommen die Unsinnigkeiten von den finanziellen Miseren: 70jährige beklagen ihre wirtschaftliche Lage, eine Gesundheitsversorgung, die so gut wie nie besser gewesen ist in deren Leben: Und die einzig noch so gut und billig funktioniert wegen der erwähnten Ausländer.

Reichtum und Wohlstand der westlichen Welt beruht weitgehend auf Auslagerung der Kosten in Entwicklungsländer (durch Billiglöhne, unterirdische Umweltstandards etc.) In Westafrika werden von der EU subventionierte Tomaten so billig verkauft, dass der einheimische Bauer unmöglich konkurrieren kann. Die Folge sind - u. a. - die Fluchtbewegungen (die durch Umweltprobleme, Erderwärmung etc. Ausmaße annehmen werden, die alles Bisherige lächerlich erscheinen lassen wird).

Die Mär von Teuerung, Armut, Wohlstandsverlust (inkl. früher war alles besser) wird geglaubt, obwohl jeder, der einige Jahrzehnte auf dem Buckel hat (bei mir sind es mehr als 6 solcher Jahrzehnte) und nicht an fortschreitender Demenz leidet, es besser wissen müsste. Hier eine Statistik für Deutschland, wird in anderen westlichen Staaten kaum anders sein: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/75719/umfrage/ausgaben-fuer-nahrungsmittel-in-deutschland-seit-1900/. Unser Problem liegt beileibe nicht in den gestiegenen Kosten der Ernährung, sondern viel eher in den gestiegenen Kosten für die Behandlung der unzähligen Fettleibigen.

Und man möchte auf Urlaub fahren (besser fliegen, mit steuerbefreitem Kerosin): Urlaub bedeutet in fast allen Fällen Sandstrand in Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei etc. (für die Besserverdienenden darf es auch mal der indische Ozean sein, obwohl - verbände man den Betreffenden die Augen - man ihnen meist auch einreden könnte, dass sie sich in Caorle oder Bibione befänden). Es wird als ein Grundrecht angesehen, saufend und fressend den Einheimischen auf die Nerven zu fallen (die sich derlei bezahlen lassen: Meist aber profitieren dabei eher Konzerne als die betroffene Bevölkerung). Dass das alles den meisten noch nicht mal Spaß macht, sie daheim beim Waldspaziergang wahrscheinlich zufriedener gewesen wären, ist eine zusätzliche Pointe dieser Perversitäten.

Und der gemeine Bürger glaubt dem Populisten: Die Eliten, die Fremden beschneiden das Recht auf den wohlverdienten Urlaub, verhindern adäquate Gesundheitsversorgung (Ausländer in Zahnarztpraxen, die dem zuckerkranken, kariesgeplagten und adipösen Bürger die Termine streitig machen). Und weil diese "Wahrheiten" von geheimnisvollen Machteliten unterdrückt werden, wird dem geplagten Bürger auch noch die Freiheit genommen, derlei auszusprechen: Schon wegen ein bisschen Fremdenfeindlichkeit wird man als Nazi denunziert. Obwohl dort ja angeblich alles auch nicht so schlecht gewesen sei ...



Samstag, 9. November 2024
Kleinigkeiten über Bücher: Heute Doderers Amtsrat Julius Zihal
Viele meiner Bücher habe ich gebraucht erworben: Anfangs auf Flohmärkten, nun auf diversen Verkaufsplattformen im Internet. Schon aus finanziellen Gründen wäre das anders gar nicht möglich gewesen, ich hätte (Daume mal pi) mehr als 250 000 Euro investieren müssen. Und wenn auch (relativ selten) fast unbrauchbare, zerfledderte Exemplare dabei waren, so gibt es auch Bücher mit Geschichte, mit eingelegten Zetteln, Anmerkungen (oft - und zum Glück - nur auf den ersten paar Seiten), sogar Zeichnungen.

Gerade eben habe ich Doderers "Die erleuchteten Fenster oder Die Menschwerdung des Amtsrates Julius Zihal" in einer Taschenbuchausgabe von 1966 gelesen. Recht guter Zustand, aber als literarischer Treppenwitz im Inneren dreimal die blassgrüne Stampiglie (Fraktur) "Eigentum v. Johannes Schmidt" - ganz vorne, dann penibel nach je 50 Seiten. Einmal - zufällig? - genau dort, wo Doderer seinen Amtsrat die "Durchführungsvorschrift zu den Bestimmungen der Dienstpragmatik über die Außerdienststellung (§§ 71 ff. und 179)" aufschlagen lässt. Wer war Johannes Schmidt - und ist es vorstellbar, dass er kein Beamter gewesen ist? Kein Zihaloid?






Über A. Schmidts Gelehrtenrepublik, Frauenbilder und Nabokovs Lolita
Es mag durchaus sein, dass die Figuren in Schmidts Roman allesamt in sich gebrochene Charaktere sind, verletzliche Verletzte. Darum war mir nicht zu tun, sondern um die Darstellung der Weiblichkeit in der Gelehrtenrepublik, deren einzige Funktion in der Befriedigung sexueller Bedürfnisse der dort lebenden - männlichen - Gelehrten besteht. (Ob man(n) - so etwas in Anspruch nehmend - nicht per se schon ein irgendwie gestörter (traumatisierter) Typus ist, sei dahingestellt: Mir hat auch zeitlebens jegliches Verständnis für Bordellbesucher gefehlt - und das, obwohl (oder weil?) ich aufgrund meiner eigenen Biographie diese Szene von Rotlicht, Gewalt, Kriminalität sehr gut kannte. Aber das ist eine andere Geschichte, die in einem eigenen Beitrag abgehandelt zu werden verdiente.)

Dass man heutige Moralvorstellungen nicht in die Vergangenheit projizieren sollte ist mir durchaus bewusst: Aber auch dies sollte man mit Einschränkungen versehen. Denn zumeist gab es in den betreffenden Zeiträumen Menschen, deren Haltung sich wohltuend vom allgemein vertretenen homo- und xenophoben, frauenfeindlichen Mainstream unterschied (wie schon nicht jeder in Schopenhauers oder Weiningers Lebenszeit von der Inferiorität des Weibes überzeugt war). Mir geht es auch nicht um einen moralisch integren Protagonisten: Interessant sind Figuren nicht ihrer ethischen Gesinnung wegen, sondern ob sie glaubwürdig sind in all ihren Abgründen, ob ihre Darstellung differenziert, subtil ausfällt. (Das könnte selbst dann der Fall sein, wenn der Autor eine mir zutiefst widerstrebende Einstellung offensichtlich goutiert.) Ich kann das in der Gelehrtenrepublik kaum sehen, ist irgendwie von Frauen, Mädchen, Beziehungen die Rede, gleitet alles schnell in banalen Altherrenwitz ab. (Um das jetzt besser belegen zu können, sollte ich das Buch wiederlesen, wonach mir im Moment der Sinn nicht wirklich steht.)

Ein Vergleich aus der Weltliteratur mag ev. illustrieren, worum mir zu tun ist: Humbert Humbert ist kein Sympathieträger, niemand, der als moralisches Vorbild tauglich wäre. Aber er ist großartig dargestellt, niemals käme ich auf die Idee, das Buch wegen der Neigungen der Hauptfigur zu jungen Mädchen zu kritisieren, das ist hier wirklich völlig irrelevant. (Im übrigen halte ich es für völligen Unsinn, Lolita als einen Liebesroman zu bezeichnen: Nichts weniger als das. Es ist der Roman einer Obsession - und von Abhängigkeiten - beidseitig. Das Mädchen bringt das Wort "Liebe" nie über die Lippen (das wird meines Wissens explizit ausgesprochen), Humberts Unfähigkeit in Beziehungsdingen (er ist einzig von den sexuellen Reizen des jungen Mädchens besessen, sie als Person ist völlig uninteressant) kommt in einem Exkurs zum Ausdruck, wenn von der Unmöglichkeit einer längerfristigen Beziehung die Rede ist: Eine solche aufrecht zu erhalten ist schon deshalb ausgeschlossen, weil das in Frage stehende Objekt (in wahrstem Sinn des Wortes) altert.

Liebe aber hat mit sexuellen Obsessionen, mit Fixierungen auf ein Objekt wenig oder nichts zu tun: Ein Fetischist liebt keinen Schuh und Humbert liebt Lolita genauso wenig. Er benützt sie (und sie ihn, sie ist als Charakter nicht sympathischer als ihr Gegenüber, was aber den Roman gerade so großartig macht: Wäre Lolita ein kleines, unschuldiges, missbrauchtes Mädchen, würde man sich langweilen.) Was ich damit sagen will: Es geht keineswegs um moralinsaures Beschweren über ethisch fragwürdige Haltungen einer Hauptfigur. Sondern um das Aufdecken von Abgründen in der Persönlichkeit, ihre Hilflosigkeit, Zerrissenheit. Schmidts Männer aber behandeln nach meinem Eindruck ihr weibliches Gegenüber mit der nonchalanten Oberflächlichkeit eines alten Herrn, die in ihnen nur potentielle Geschlechtspartner sehen. Insofern auch als Objekte, aber - so meine Empfindung - ohne Tiefgang, platitüdenhaft.