Sonntag, 24. November 2024
Rechtspopulismus und die Einfalt der Wähler
Fortsetzung von https://troet.cafe/@scheichsbeutel/113538627411691999

In einer idealen politischen Welt stelle ich mir verantwortliche Politiker vor, die faktenbasiert kluge Entscheidungen treffen (die nicht immer auch auf allgemeine Zustimmung stoßen müssen) und bin eher Anhänger der repräsentativen Demokratie.

Tatsächlich funktioniert Politik mittlerweile gänzlich anders: Ausschließlich auf der emotionalen Ebene. Man erzeugt Neid in allen Varianten (inklusive Feinbilder), schürt Ängste, bedient das Klischee der vermeintlichen Eliten, die das gemeine Volk ihrer Rechte berauben und für einen (ebenso vermeintlichen) wirtschaftlichen Niedergang sorgen. Und wählt Parteien mit Programmen, die dies erst tatsächlich bewirken.

Denn die vielgeschmähten Ausländer sind das Rückgrat unserer Wohlstandsgesellschaft, schlecht bezahlt erledigen sie genau das, wofür sich der Einheimische zu schade ist (oder dabei nicht genug verdient). Dazu kommen die Unsinnigkeiten von den finanziellen Miseren: 70jährige beklagen ihre wirtschaftliche Lage, eine Gesundheitsversorgung, die so gut wie nie besser gewesen ist in deren Leben: Und die einzig noch so gut und billig funktioniert wegen der erwähnten Ausländer.

Reichtum und Wohlstand der westlichen Welt beruht weitgehend auf Auslagerung der Kosten in Entwicklungsländer (durch Billiglöhne, unterirdische Umweltstandards etc.) In Westafrika werden von der EU subventionierte Tomaten so billig verkauft, dass der einheimische Bauer unmöglich konkurrieren kann. Die Folge sind - u. a. - die Fluchtbewegungen (die durch Umweltprobleme, Erderwärmung etc. Ausmaße annehmen werden, die alles Bisherige lächerlich erscheinen lassen wird).

Die Mär von Teuerung, Armut, Wohlstandsverlust (inkl. früher war alles besser) wird geglaubt, obwohl jeder, der einige Jahrzehnte auf dem Buckel hat (bei mir sind es mehr als 6 solcher Jahrzehnte) und nicht an fortschreitender Demenz leidet, es besser wissen müsste. Hier eine Statistik für Deutschland, wird in anderen westlichen Staaten kaum anders sein: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/75719/umfrage/ausgaben-fuer-nahrungsmittel-in-deutschland-seit-1900/. Unser Problem liegt beileibe nicht in den gestiegenen Kosten der Ernährung, sondern viel eher in den gestiegenen Kosten für die Behandlung der unzähligen Fettleibigen.

Und man möchte auf Urlaub fahren (besser fliegen, mit steuerbefreitem Kerosin): Urlaub bedeutet in fast allen Fällen Sandstrand in Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei etc. (für die Besserverdienenden darf es auch mal der indische Ozean sein, obwohl - verbände man den Betreffenden die Augen - man ihnen meist auch einreden könnte, dass sie sich in Caorle oder Bibione befänden). Es wird als ein Grundrecht angesehen, saufend und fressend den Einheimischen auf die Nerven zu fallen (die sich derlei bezahlen lassen: Meist aber profitieren dabei eher Konzerne als die betroffene Bevölkerung). Dass das alles den meisten noch nicht mal Spaß macht, sie daheim beim Waldspaziergang wahrscheinlich zufriedener gewesen wären, ist eine zusätzliche Pointe dieser Perversitäten.

Und der gemeine Bürger glaubt dem Populisten: Die Eliten, die Fremden beschneiden das Recht auf den wohlverdienten Urlaub, verhindern adäquate Gesundheitsversorgung (Ausländer in Zahnarztpraxen, die dem zuckerkranken, kariesgeplagten und adipösen Bürger die Termine streitig machen). Und weil diese "Wahrheiten" von geheimnisvollen Machteliten unterdrückt werden, wird dem geplagten Bürger auch noch die Freiheit genommen, derlei auszusprechen: Schon wegen ein bisschen Fremdenfeindlichkeit wird man als Nazi denunziert. Obwohl dort ja angeblich alles auch nicht so schlecht gewesen sei ...

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Samstag, 9. November 2024
Kleinigkeiten über Bücher: Heute Doderers Amtsrat Julius Zihal
Viele meiner Bücher habe ich gebraucht erworben: Anfangs auf Flohmärkten, nun auf diversen Verkaufsplattformen im Internet. Schon aus finanziellen Gründen wäre das anders gar nicht möglich gewesen, ich hätte (Daume mal pi) mehr als 250 000 Euro investieren müssen. Und wenn auch (relativ selten) fast unbrauchbare, zerfledderte Exemplare dabei waren, so gibt es auch Bücher mit Geschichte, mit eingelegten Zetteln, Anmerkungen (oft - und zum Glück - nur auf den ersten paar Seiten), sogar Zeichnungen.

Gerade eben habe ich Doderers "Die erleuchteten Fenster oder Die Menschwerdung des Amtsrates Julius Zihal" in einer Taschenbuchausgabe von 1966 gelesen. Recht guter Zustand, aber als literarischer Treppenwitz im Inneren dreimal die blassgrüne Stampiglie (Fraktur) "Eigentum v. Johannes Schmidt" - ganz vorne, dann penibel nach je 50 Seiten. Einmal - zufällig? - genau dort, wo Doderer seinen Amtsrat die "Durchführungsvorschrift zu den Bestimmungen der Dienstpragmatik über die Außerdienststellung (§§ 71 ff. und 179)" aufschlagen lässt. Wer war Johannes Schmidt - und ist es vorstellbar, dass er kein Beamter gewesen ist? Kein Zihaloid?



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Über A. Schmidts Gelehrtenrepublik, Frauenbilder und Nabokovs Lolita
Es mag durchaus sein, dass die Figuren in Schmidts Roman allesamt in sich gebrochene Charaktere sind, verletzliche Verletzte. Darum war mir nicht zu tun, sondern um die Darstellung der Weiblichkeit in der Gelehrtenrepublik, deren einzige Funktion in der Befriedigung sexueller Bedürfnisse der dort lebenden - männlichen - Gelehrten besteht. (Ob man(n) - so etwas in Anspruch nehmend - nicht per se schon ein irgendwie gestörter (traumatisierter) Typus ist, sei dahingestellt: Mir hat auch zeitlebens jegliches Verständnis für Bordellbesucher gefehlt - und das, obwohl (oder weil?) ich aufgrund meiner eigenen Biographie diese Szene von Rotlicht, Gewalt, Kriminalität sehr gut kannte. Aber das ist eine andere Geschichte, die in einem eigenen Beitrag abgehandelt zu werden verdiente.)

Dass man heutige Moralvorstellungen nicht in die Vergangenheit projizieren sollte ist mir durchaus bewusst: Aber auch dies sollte man mit Einschränkungen versehen. Denn zumeist gab es in den betreffenden Zeiträumen Menschen, deren Haltung sich wohltuend vom allgemein vertretenen homo- und xenophoben, frauenfeindlichen Mainstream unterschied (wie schon nicht jeder in Schopenhauers oder Weiningers Lebenszeit von der Inferiorität des Weibes überzeugt war). Mir geht es auch nicht um einen moralisch integren Protagonisten: Interessant sind Figuren nicht ihrer ethischen Gesinnung wegen, sondern ob sie glaubwürdig sind in all ihren Abgründen, ob ihre Darstellung differenziert, subtil ausfällt. (Das könnte selbst dann der Fall sein, wenn der Autor eine mir zutiefst widerstrebende Einstellung offensichtlich goutiert.) Ich kann das in der Gelehrtenrepublik kaum sehen, ist irgendwie von Frauen, Mädchen, Beziehungen die Rede, gleitet alles schnell in banalen Altherrenwitz ab. (Um das jetzt besser belegen zu können, sollte ich das Buch wiederlesen, wonach mir im Moment der Sinn nicht wirklich steht.)

Ein Vergleich aus der Weltliteratur mag ev. illustrieren, worum mir zu tun ist: Humbert Humbert ist kein Sympathieträger, niemand, der als moralisches Vorbild tauglich wäre. Aber er ist großartig dargestellt, niemals käme ich auf die Idee, das Buch wegen der Neigungen der Hauptfigur zu jungen Mädchen zu kritisieren, das ist hier wirklich völlig irrelevant. (Im übrigen halte ich es für völligen Unsinn, Lolita als einen Liebesroman zu bezeichnen: Nichts weniger als das. Es ist der Roman einer Obsession - und von Abhängigkeiten - beidseitig. Das Mädchen bringt das Wort "Liebe" nie über die Lippen (das wird meines Wissens explizit ausgesprochen), Humberts Unfähigkeit in Beziehungsdingen (er ist einzig von den sexuellen Reizen des jungen Mädchens besessen, sie als Person ist völlig uninteressant) kommt in einem Exkurs zum Ausdruck, wenn von der Unmöglichkeit einer längerfristigen Beziehung die Rede ist: Eine solche aufrecht zu erhalten ist schon deshalb ausgeschlossen, weil das in Frage stehende Objekt (in wahrstem Sinn des Wortes) altert.

Liebe aber hat mit sexuellen Obsessionen, mit Fixierungen auf ein Objekt wenig oder nichts zu tun: Ein Fetischist liebt keinen Schuh und Humbert liebt Lolita genauso wenig. Er benützt sie (und sie ihn, sie ist als Charakter nicht sympathischer als ihr Gegenüber, was aber den Roman gerade so großartig macht: Wäre Lolita ein kleines, unschuldiges, missbrauchtes Mädchen, würde man sich langweilen.) Was ich damit sagen will: Es geht keineswegs um moralinsaures Beschweren über ethisch fragwürdige Haltungen einer Hauptfigur. Sondern um das Aufdecken von Abgründen in der Persönlichkeit, ihre Hilflosigkeit, Zerrissenheit. Schmidts Männer aber behandeln nach meinem Eindruck ihr weibliches Gegenüber mit der nonchalanten Oberflächlichkeit eines alten Herrn, die in ihnen nur potentielle Geschlechtspartner sehen. Insofern auch als Objekte, aber - so meine Empfindung - ohne Tiefgang, platitüdenhaft.

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